Auf den ersten Blick sieht die Entwicklung der Landwirtschaft nach einer Erfolgsstory aus. In den letzten Jahrzehnten wurden beachtliche Ertragssteigerungen erzielt. Während 1960 jedem der drei Milliarden Menschen theoretisch 2.300 Kilokalorien Nahrung pro Tag zur Verfügung standen, waren es 2001 bereits 2.800 Kilokalorien für jeden der 6,1 Milliarden Menschen. Bei einer gerechten Verteilung der Nahrungsmittel könnten sich heute auch die derzeit 815 Millionen Hungernden ausreichend ernähren.
Geprägt ist die Ertragssteigerung von Intensivierung und Industrialisierung. Dazu zählt der erhöhte Einsatz von Düngemitteln, zahlreichen Pestiziden, großflächigen Ent- oder Bewässerungssystemen und besseren Maschinen. Menschliche Arbeitskräfte wurden durch Maschinen ersetzt. Während 1950 in Deutschland und Österreich ein landwirtschaftlicher Betrieb statistisch gesehen nur zehn VerbraucherInnen ernährte, sind es heute 108. Die Züchtung ertragreicherer Sorten leistete einen weiteren Beitrag. Im Zuge der so genannten Flurbereinigung wurden zudem größere zusammenhängende Parzellen geschaffen, um die maschinelle Bewirtschaftung zu erleichtern. In der Fleischproduktion erfolgte eine Intensivierung durch Massentierhaltung, den erhöhten Einsatz von Kraftfutter, Medikamenten und „leistungsfähigere“ Rassen.
Wagt man einen zweiten Blick, muss das positive Urteil revidiert werden. Die Landwirtschaft erzielt zwar höhere Erträge, nachhaltig oder zukunftsfähig ist sie in ihrer heutigen Form jedoch nicht. Landwirtschaft bedeutet ja mehr als die Produktion von Lebensmitteln. Katastrophale Auswirkungen hat die Agrarindustrie auf Umwelt und Natur, Gesundheit und Gesellschaft.
Gewässer und Böden werden weltweit durch den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln stark belastet. Zu hohe Nitrat-Konzentrationen im Grundwasser führen sogar zur Schließung von Brunnen. Gängige Praxis in den Industrienationen ist die Vermischung von belastetem mit sauberem Wasser, um die zulässigen Grenzwerte nicht zu überschreiten. In Entwicklungsländern ist diese Möglichkeit selten gegeben.
Unangepasste Anbaupraktiken erodieren die Böden auf großen Flächen, das heißt, fruchtbares Erdreich wird durch Wasser oder Wind unwiederbringlich abgetragen. Durch unsachgemäße Bewässerung versalzen Böden und werden dadurch unfruchtbar. Dieses Problem hat inzwischen weltweit ein so großes Ausmaß erreicht, dass von der UNO im Jahre 1994 eine Konvention zur Verhinderung der Desertifikation (Wüstenbildung) beschlossen wurde. Besonders dramatisch ist die Lage in vielen wirtschaftlich schwachen Staaten Afrikas, in Teilen Südamerikas und in Zentralasien sowie in China. Durch große, oftmals von der Weltbank finanzierte Bewässerungsprojekte haben sich zudem in vielen Regionen die Grundwasservorräte dramatisch verringert. Die Landwirtschaft ist derzeit für 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs verantwortlich.
Sind die Menschen durch ein höheres Angebot an Nahrungsmitteln wenigstens gesünder? Leider nein. Weltweit gesehen wurde der Hunger nicht besiegt. Und der Einsatz von Pestiziden birgt vor allem in Entwicklungsländern hohe Risiken bereits für die Bauern und Bäuerinnen. Auf vielen Plantagen Südamerikas wird auch dann aus der Luft gesprüht, wenn Arbeitskräfte auf den Feldern beschäftigt sind. Allein in China starben 1993 schätzungsweise 10.000 LandwirtInnen an Pestizidvergiftungen. Damit nicht genug. Rückstände von Pestiziden finden sich heute auch in den Nahrungsmitteln. In der EU war laut Pesticide Residue Monitoring 2000 über ein Drittel des Obstes, Gemüses und Getreides mit Rückständen belastet. Gesundheitliche Probleme sind die Folge der langjährigen Aufnahme dieser giftigen Wirkstoffe.
Die Nahrungsmittel sind zudem nicht nur mit Rückständen belastet, sondern auch generell weniger „gesund“ als früher. Überhöhte Düngung und eine lediglich auf die Ertragsmenge ausgerichtete Züchtung haben die Nährstoffdichte (vor allem Mineralien und Vitamine) der Pflanzen reduziert. Hersteller von Babynahrung verwenden heute bereits Früchte aus dem ökologischen Landbau, um eine ausreichende Qualität ihrer Produkte sicherzustellen.
Und wie hat sich das Landschaftsbild verändert? Durch die Intensivierung der Landwirtschaft wurde sowohl in Mitteleuropa als auch in anderen Teilen der Welt die Lebensgrundlage für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten zerstört. Sie waren an eine strukturreiche Kleinlandwirtschaft angepasst. Die erhöhte Düngung, vermehrter Pestizideinsatz und effizientere Bewirtschaftungsmethoden haben die Flächen zunehmend in „Agrarwüsten“ verwandelt. Diese können nur noch von wenigen Arten besiedelt werden. Ertragsschwache Standorte wie blütenreiche Magerrasen, die eine hohe Biodiversität aufweisen, wurden nicht mehr bewirtschaftet und verschwanden zusammen mit Berufen wie dem Wanderschäfer. Streuobstbäume und Feldgehölze wurden genauso wie Hecken und Steinmauern als Bewirtschaftungshindernisse entfernt. Artenreiche Feuchtwiesen wurden entwässert, Flüsse und Bäche kanalisiert. Die Aufgabe traditioneller Bewirtschaftungsformen findet weltweit statt und geht in allen Regionen mit einem dramatischen Artenschwund einher. In Mitteleuropa ist er bisher am besten dokumentiert.
Diese Negativbilanz lässt sich fortsetzen. Auch die Diversität der Nutzpflanzensorten und Nutztierrassen hat im Zuge der Intensivierung der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten stark gelitten. Beispielsweise ging die Zahl der Anfang des letzten Jahrhunderts in den USA verbreiteten Sorten von Äpfeln, Kohl, Mais, Erbsen und Tomaten bis 1984 um durchschnittlich 90 Prozent zurück.
Dabei verursacht die nicht nachhaltige Landwirtschaft hohe Kosten. Sicherlich profitieren einige Sparten wie die chemische Industrie. Dem stehen jedoch weltweit jährliche Ernteverluste im Wert von schätzungsweise 42 Milliarden US-Dollar durch Desertifikation gegenüber. Für die Entfernung von Pestizidrückständen müssen die Wasserwerke allein in Deutschland etwa 125 Millionen Euro jährlich aufbringen. Die notwendig Erschließung neuer Grundwasservorräte ist weltweit sehr kostenintensiv. Durch knapper werdende Wasservorräte spitzt sich die Lage zu, und Wasser wird bereits als zwischenstaatlicher Konfliktstoff Nummer Eins der Zukunft angesehen.
Manche Verluste, etwa das Aussterben von Pflanzen- und Tierarten sowie der Rückgang an Landschaftsvielfalt lassen sich nicht exakt beziffern. Vernachlässigbar sind sie deshalb trotzdem nicht. Auch die gesundheitlichen Kosten, die durch die derzeitige Form der Landwirtschaft entstehen, sind schwer fassbar.
Angesichts der vielfältigen negativen Auswirkungen der heutigen Bewirtschaftungsform ist eine Neuausrichtung der Landwirtschaft unumgänglich. Dafür ist es hilfreich, zunächst zu analysieren, wodurch die derzeitige Landwirtschaftsform begünstigt wurde.
Voraussetzung war die Möglichkeit, mineralische Düngemittel herzustellen, das Vorhandensein vergleichsweise billigen Öls und die Weiterentwicklung von Maschinen. Einfluss auf die Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik der Industriestaaten nahm in der Vergangenheit vor allem die finanzstarke chemische Industrie. In der EU wurden Abnahmemengen garantiert, Preisstützungssysteme eingeführt, Einkommensbeihilfen gezahlt und Exporte subventioniert. Die Orientierung an Menge und nicht an Qualität hat zur Folge, dass regelmäßig große Teile der landwirtschaftlichen Produktion vernichtet werden müssen. Große Höfe profitieren von den Preisstützungen, Flächenzahlungen und Tierprämien der EU am meisten. In Deutschland etwa geht fast ein Drittel der Direktzahlungen an lediglich 1,2 Prozent der Betriebe. Dies hat EU-weit zur Aufgabe sehr vieler kleinerer Höfe geführt. In den Entwicklungsländern behindern oftmals die noch aus der Kolonialzeit stammenden (Großgrund)-Besitzverhältnisse die Entstehung einer Kleinlandwirtschaft. Fatal wirken sich die Exportbeihilfen der EU und USA aus. Durch sie wird die Produktion von Nahrungsmitteln in den Entwicklungsländern unwirtschaftlich und somit die Einkommensgrundlage der dortigen Landwirte zerstört. Auch die Politik der Weltbank, Geldgeber zahlloser landwirtschaftlicher Projekte in Entwicklungsländern, ist nicht frei von den Interessen der Industrie.
Vermarktungsstrukturen haben der Entwicklung eine zusätzliche Dynamik verliehen. Die großen internationalen Handelsketten üben starken Druck auf die Hersteller von Lebensmitteln aus, möglichst billig zu produzieren. Dies beeinflusst nicht zuletzt die Landwirtschaft.
Von denen, die vom derzeitigen System profitieren, wird suggeriert, es gäbe keine Alternative. Das ist keineswegs der Fall. Aber wie sieht eine zukunftsfähige Landwirtschaftsform aus, wenn man aus den Fehlern der Vergangenheit lernt? Landwirtschaftliche Flächen müssen als Ökosysteme betrachtet werden, die in ständigem Austausch zu ihrer Umgebung stehen. Es sind Kreisläufe zu schaffen, die den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit ebenso garantieren wie den Erhalt sauberer Gewässer und einer hohen Artenvielfalt. Dieses Prinzip der Nachhaltigkeit wird in der ökologischen Landwirtschaft verfolgt. Die Politik ist gefordert. Verpflichtende Vorgaben müssen durchgesetzt werden. Subventionen sollten an Umweltschutz-Auflagen gebunden werden wie dies beispielsweise in der Schweiz der Fall ist. Auch bei der Zulassung von Sorten sollten umweltrelevante Kriterien einbezogen werden.
Auf internationaler Ebene bedarf das Agrarabkommen der WTO einer Überarbeitung. Die Exporthilfen der EU und USA müssen gestrichen werden. Ein gewisser Protektionismus sollte jedoch den Entwicklungsländern den Aufbau einer nachhaltigen Landwirtschaft ermöglichen.
Es gibt kein Patent-Rezept, das auf alle Regionen gleichermaßen anzuwenden wäre. Dies ist vor allem für die chemische Industrie derzeit noch schwer vorstellbar, da sie ein Interesse daran hat, ihre Produkte auf einem möglichst großen und homogenen Weltmarkt abzusetzen. Aber auch in der Politik ist diese Einsicht noch nicht weit verbreitet. Insgesamt gilt es, regionale und dörfliche Strukturen zu stärken und den Einfluss von Industrie und Handelskonzernen zu reduzieren. Und zuletzt entscheiden die KonsumentInnen, was sie in den Einkaufskorb packen. Ihr Kaufverhalten könnte durch eine stärkere Sensibilisierung für ökologische und gesundheitliche Probleme beeinflusst werden.